Endlich wieder Festivals: Rock im Park 2022

News am 6. Juni 2022 von awi

Das war es also, das erste große Festivalwochenende (Rock im Park und Rock am Ring 2022) nach zwei Jahren Festivalpause. Nach drei Jahren das erste mal wieder mit zehntausenden Menschen feiern – was war noch mal gewesen? Davon, dass die aktuelle Inzidenz noch immer deutlich dreistellig ist, merkte man beim Festival nichts. Bis Alligatoah seinem Song „Fuck Rock’n’Roll“ nach zufolge wieder an Musik schreiben kann („Ich kann nur schreiben bei Inzidenz unter 10“), dürfte es also (gerade nach diesem Festivalwochenende) wieder dauern.

Bei Rock am Ring/Rock im Park fand in der Corona-Pause hinter den Kulissen eine kleine Organisationsrochade statt – nicht mehr Live Nation, sondern die neu gegründete Dreamhaus Agentur unter dem Dach von CTS Eventim war federführend für die Zwillingsfestivals. Auch wenn viele Mitarbeiter*innen mitwechselten, schien gerade am ersten Tag ein paar Abläufe etwas eingerostet. So dauerten die Einlässe zu den Campingplätzen und später aufs In-Field ungewöhnlich lange. Das neu eingeführte Cashless-System hatte am ersten Tag ebenfalls zunächst Probleme, alle vor-registrierten Guthaben auch wirklich auf die Chips zu übertragen – auch wenn die Bugs weit unter dem lagen, was das Hurricane 2015 als eins der ersten Festivals erleiden musste, das den RFID-Chip am Handgelenk ausprobierte. Im Laufe des Festivals zeigte sich außerdem, dass die Müll-Organisation auf den Campingplätzen noch verbessert werden kann.

Ebenfalls neu war das Awareness-Team, das sowohl mobil, als auch stationär mit Zelten dafür da waren, wenn Besucher*innen sich unwohl fühlten oder sich belästigt fühlten. Inspiriert von dem Hurricane-Konzept „Wo geht’s nach Panama“ kündigte Rock im Park das Konzept ca. ein Monat vor dem Festival u.a. bei Facebook an – und erntete neben Zustimmung auch viel Kritik, vor allem von Männern. Auch wenn es sich in einer utopischen Blase, in der alle Festivalbesucher*innen freundlich zueinander sind, sicherlich gut lebt, sieht die Realität oft anders aus. Rock im Park schließt eigentlich nur zu anderen Festivals auf, die sich bereits seit einigen Jahren mit diesem Thema beschäftigen: Spätestens nach Vergewaltigungen von auf dem schwedischen Bråvalla Festival 2017 ist dieses Thema nicht mehr zu leugnen, auch wenn das einige Festivalbesucher bei Rock im Park wohl anders sehen. Nicht umsonst gelten Rock im Park/Rock am Ring Besucher*innen nicht als die progressivste Festivalcrowd.

Ähnliche Fragestellungen bot das gesamte Line-up von Rock im Park: Wie kann es sein, dass in einer so diversifizierten Musikszene das Festival es gerade mal auf 5,62% Musikerinnenanteil bringt? Nachdem das Thema im Vorfeld für Diskussionen sorgte (wenn auch vermutlich nicht bei den gleichen Besucher*innen, die ein Awareness-Team verhöhnen), bot Max Gruber von Drangsal seinen Slot für einen Song Mia Morgan an und zog sich zurück. Kein Feature, kein Cover – Mia Morgan übernahm für einen Song, begleitet von der restlichen Band. Bereits im letzten Jahr schrieb Sophie Hunger bezugnehmend auf Bandfotos der Lineup-Veröffentlichung in einem Gastbeitrag im Spiegel, wie beschämend eine 2% Quote von Musikerinnen ist. Vielleicht hört RaR/RiP einfach mal auf den Aufruf: „Redet nicht nur, bucht Frauen!“ Bis dahin kann man sich wunderbar das Coveralbum „Cock am Ring“ anhören, auf dem Musikerinnen Coverversionen von den männlich gespickten Act der beiden Zwillingsfestivals zum Besten geben.

Nicht zuletzt war das Leitsystem für Besucher*innen unklar und unclever entworfen – zu The Offspring, aber auch kurz vor Scooter und Billy Talent waren die Massen an Besucher*innen zwischen der Utopia Stage (ehemals Center) und Mandora Stage (ehemals Park) kurz vor einer Panik und Platzängsten. Zur Ehrenrettung von Rock im Park sei allerdings auch gesagt: Bei einigen Besucher*innen hatten wir das Gefühl, dass sie in den zwei Jahren Pause auch irgendwie vergessen haben, wie Festivals funktionieren.

Nach all dem jedoch: Es war wunderbar, wieder auf einem Festival zu sein! Ein paar Traditionen sterben nie: Green Day dreht mal wieder nur auf halbe Lautstärke auf, Marterias letzte 20 Sekunden dauern mindestens 10 Minuten, die Beatsteaks lassen zu „Let Me In“ den ganzen Platz springen, die Donots spielen einen grandiosen Eröffnungsslot und Casper lässt Feuerwerk zu „Hinterland“ regnen. Ein paar Sachen waren jedoch auch neu: Marteria hat ekstatische Glumandas als neue Animationen zum Abschluss mitgebracht sowie eine neue LED Wand („Unser neues Bandmitglied, die kleine LED Wand“), Alligatoah baut eine kleine Bühne auf eine große Bühne und entwirft eine wunderbare Parodie des Festival-Businesses (inkl. Sponsoren und Stage-Managern, die auf das Ende der Spielzeit hinweisen sowie daran erinnern, dass der Publikumssteg nur für den Headliner ist). Shooting Stars wie Måneskin können als einer der größten Publikumsmagneten beweisen, was für eine mitreißende Show sie auf die Bühne bringen können, aber auch, was für Star-Allüren sie bereits entwickelt haben: Damiano David attackiert die „Production“ dafür, dass sie nicht länger Zeit haben, das Publikum zu begeistern. Ganz schöne Diva!

Man sollte sich kaum die Chance entgehen lassen, Muse mal Live zu sehen. Offenbar konnten nicht bei alle Besucher: innen den Spannungsbogen bis zum Sonntags-Headliner halten, so hätte bei Muse noch eine Zuschauer*innen mehr Platz gefunden.

Was diese Besucher*innen verpasst haben? Eine Menge. Eine fulminanten Bühnenshow, die alle kleinen und großen Rockstarträume erfüllte wie Feuer auf der Bühne, einer riesige verspiegelten Maske im Bühnenbild sowie LED-Videotechnik. Das heimliche Highlight: Die LED-Jacke von Leadsänger Matt Bellamy inklusiver Star Wars-liken Roboterhand, die für ein kleines Effektfeuerwerk sorgen konnte. Neben neuen Songs vom kommenden Album „Will of the People“ wurde das teilweise leider wenig textsichere deutsche Publikum mit allen Klassikern der Band belohnt.

Zum Abschluss, bei Casper, wurde es im wahrsten Sinne des Wortes etwas blumiger. In einem Blumenmeer stehend mit Häkelpulli eröffnete Casper mit seiner Leadsingle des letzten Albums, „Alles war schön und nichts tat weh“. Die in drei Akte geteilte Show bot den Fans eine kontrastreiche Show, die auch den musikalischen Wandel des Rappers attestierten. In einem Contest von wer-performt-es-besser-ohne-den-Duo-Partner muss im Falle von „Adrenalin“ wohl für den stimmgewaltigeren Marteria vom Vortag stimmen. Insgesamt hatte Casper keinen seiner illustren Feature-Gäste der letzten Jahre dabei, ein bisschen schade für die ersten beiden Festivalauftritte nach so langer Zeit. Dafür konnte Casper mit einer der wenigen politischen Botschaften des Festivals aufwarten, in dem er „Nie wieder Krieg“ via LED-Screen forderte, nach dem er den tragischen Song „Billie Jo“ spielte, der von Kriegstraumata handelt.

„Es war schön und nichts tat weh“?! Am Ende ein bisschen die Füße und auch ein bisschen das Herz. 2022 wäre ein gutes Jahr, um nicht da weiterzumachen, wo man aufgehört hat.

Die nächste Edition von Rock im Park startet am 02.-04. Juni 2023!

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