Summerjam 2016 – Festival zwischen Roots Reggae und Hiphop Beats

News am 7. Juli 2016 von awi

Megaloh 2 - Summerjam '16Zweifelnd schaue ich gen Himmel. Unbeständig, würde ich sagen. Oder auch: variationsfreudig, wollte ich den Nerv vom Summerjam 2016 treffen. Denn nicht nur oben in den Clouds scheint man sich uneins zu sein, auch unten in den Crowds battlen urige Reggea-Schwaden um Alborosie mit poppigen Sonnenstrahlen von Namika, getrieben von satirischen Winden aus der Alligatoah-Ecke.

Insgesamt also eher wolkig bis heiter, selbstironisch bis wechselhaft; und dadurch für viele der Künstler die scheinbar ultimative Gelegenheit, neue Songs unters Volk zu bringen und bisher angenommene Grenzen weiter zu verwischen.

Die Orsons - Summerjam '16Nehmen wir als Paradebeispiel mal Die Orsons. Trauten wir niedrigschwelligen Internetseiten so handelt es sich hierbei offenbar um Hiphop. Stellt sich nur die Frage, was das auf dem allgemein für Reggea bekannten Summerjam sucht, außer vielleicht dem Ziel, Musikliebhabern eine gemeinsame Gelegenheit zum Feiern zu geben. Oder was die Boyband-anmutenden Choreos in einer so titulierten Band sollen, es sei denn um zu provozieren. Oder warum die hier probeweise angespielte EP von Kaas und Jugglerz deutlich Reggea-geprägt ist. Schade allerdings, dass der Guestact nur schüchtern mit den Besuchern Kontakt aufnimmt, wo die Fans doch bereits gut in Stimmung sind. Insgesamt überzeugen Die Orsons aber durch ihr selbstbewusst-schalkhaftes Auftreten und eingängige Tunes.

SDP 2 - Summerjam '16SDP - Summerjam '16Nach diesem kaum merklichen Tief bringt SDP die Leute mit Gute-Laune-Hits wieder in Hochstimmung. Trotz – oder dank? – der musikalischen Vielfalt ihres so genannten „Irgendwie-Pop“s kann der Entertainmentfaktor sogar noch gesteigert und eine breitere Menge bedient werden. Charmante Überleitungen und authentischer Publikumsbezug, was in dem Falle bedeutet, eine Flasche Jim Beam durch die Reihen wandern zu lassen, tun ihr Übriges. Traut man der Begeisterung auf einem ursprünglichen Reggea-Festivals sind „Dag, Digger“ und Vincent auf ihrer Mission „zurück in die Zukunst“ auf einem guten Weg, die Welt vor Musik-Grenz-Fetischisten zu bewahren.

Alligatoah 2- Summerjam '16Das Highlight des ersten Tages stellt jedoch Alligatoah dar, der sich in typisch selbstironisch-überheblicher Manier selbst zum Headliner gratuliert. Doch Ehre wem Ehre gebührt; Gesellschaftskritik steht im Bunde mit eingängigen, jedoch abwechslungsreichen Melodien, die die Menge erfolgreich zum Raven bringen. Dabei leistet „der feine Herr Gatoah“ nicht nur musikalisch großartige Unterhaltungsarbeit. Auch zwischen den Alligatoah - Summerjam '16einzelnen Liedern belustigt er sich und das Publikum – vorausgesetzt, man versteht die Anspielung und die humorige Ebene. So genau weiß man bei ihm eben nie, auf wessen Kosten der Witz gerade geht. Kontroversen über Kontradiktionen und Fragen über Fragen.

Und dann wollen Die Beginner, normalerweise sehr gefeiert unter Hiphop-Fans, auch noch Reggea-Größe Gentleman zu sich auf die Bühne holen. Klarer Fall, das würde schließlich die vollkommene Verwirrung unter Normativesten stiften. Blöd nur, dass Gentleman selbst gerade anderweitig beschäftigt ist und auf der Red Stage gegenüber für gute Stimmung sorgt.

Beginner - Summerjam '16Klärung in diesem genretechnisch scheinbar verwirrten Klima bringt schließlich Jan Delay aka Eizi Eiz: „Hiphop und Reggea, das ist doch eigentlich die selbe Soße“. Also eher ein sowohl-als-auch, als ein entweder-oder. Obwohl alteingesessene Reggea-Heads das wohl anders sehen, werden Die Beginner von der tanzenden Masse bejubelt und befeiert. Dabei tut die 13-jährige Bandpause ihrer Bühnenperformance keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil; auch nach langer Abwesenheit und minder bis mehr erfolgreichen Solokarrieren werden sie mit alten wie neuen Songs vom Publikum mit offenen Armen empfangen. Doch bleibt, was auf dem Summerjam passiert, auf dem Summerjam oder schaffen die Beginner es auch außerhalb? Ihre neue Single „Ahnma“ lässt hoffen. Allerdings wären wir damit wieder Besucherinnen 2 - Summerjam '16beim Thema Grenzen. Denn im stilmäßig harten Kontrast dazu steht Parov Stelar am Sonntagabend auf der Bühne. Von Frontfrau bis Hintermann in für den Summerjam-untypischen Anzug gekleidet, bringen sie die Menge mit elektronischen Beats erfolgreich zum Swingen. Während Namika und SDP noch auf Unterschieden zwischen Mann und Frau beharren, scheinen wir 2016 musikpolitisch jedenfalls bei den Regenbogenfarben von Alligatoahs Heißluftballon angekommen – auch wenn nicht jeder Festivalbesucher in dieses wacklige Gefährt steigen würde, scheint der Großteil die Fahrt genossen zu haben.

 

Ein paar weitere Beobachtungen:

  • Akua Naru - Summerjam '16Die Green Stage bot sich offenbar besser für starke politische Botschaften an als die Red Stage. Chefket kritisierte in seinem Set die deutschen Waffenexporte, verkündete schon wie beim Hurricane „Refugees Welcome“ und sprach sich energisch gegen Rassimus aus. Akua Naru zeigte mit einer überschwallenden Energie in einer mitreißenden Rede, wie wichtig ihr die „Black Lives Matter“ Bewegung ist und wie nah es ihr persönlich geht. Megaloh betonte, dass er immer noch einige Tage morgens um 4 aufsteht um im Lager zu arbeiten und dass es eigentlich nicht sein kann, dass er hier vor so großem Publikum sein Set spielt und doch noch weiter hart arbeiten muss („Ich mach keine Doppel-, ich mach Trippelschicht!“).
  • Chefket 2 - Summerjam '16Hiphop & Reggae, eine Soße. Roots-Reggae-Hardliner widersprechen da wohl gern, aber mal im Ernst: Was trennt stilistisch den Sprechgesang von Damian Jr. Gong Marley (z.B. in „Welcome To Jamrock“) noch vom Headliner der Green Stage, den Beginnern? In der Musik hauptsächlich die Beats. In der Kultur manchmal Welten. Trotzdem: Die Altmeister der Beginner zeigten, dass sie mit Hiphop einen großen Teil des Summerjam Publikums begeistern können, die Senkrechtstarter Megaloh & Chefket zeigten, in was für eine phänomenal gute Richtung deutscher Hiphop sich gerade bewegt. Chefket machte derweil, wie auf seinem Album angekündigt, was er liebt und kriegt dafür Gage – etwas untypisch, dass er wenig Songs im Original spielte, sondern viele (z.B. „Wir“) mit neuen, fetten Beats unterlegt hat. Er hatte wohl Bock drauf.
  • Dellé - Summerjam '16Sean Paul geht auf der Bühne dank seines Asthmas immer noch oft die Puste aus. Doch immer mal wieder dazwischen: Überraschend tight sitzende Lines. Und Stimmung kann Sean Paul ohnehin ausgezeichnet. Da seien ihm das Playback-Backup verziehen.
  • Wo Seeed sich schon vor Jahren vom Reggae abwendeten und zu fetten Dancehall Beats mit gelegentlichen Rock-Songs kamen, zeigt Sänger Dellé astreine Reggae Sounds, aufgefrischt mit ungewöhnlicheren Elementen wie Theremin und Synthies. Großartiger Auftritt beim Summerjam – auch, wenn Seeed mit der „Cherry Oh / Waiting“ EP zuletzt auch noch bewies, dass Reggae noch geht, ist Dellé ein guter Ersatz, die bei Seeed Songs á la „Psychedelic Kingdom“ vermissten, den Seeed beim Headline-Slot Summerjam 2014 ausnahmsweise noch mal spielten.
  • Collie Buddz - Summerjam '16Menschen auf die Bühne holen: Rock Acts haben ab und an eher nicht so gute Erfahrung damit, Leute auf die Bühne zu holen und diesen Menschen mehr Aufmerksamkeit als einen kurzen Selfie zu widmen. Collie Buddz ließ auf dem Summerjam ein Mädel aus der ersten Reihe einen ganzen Chorus singen, Namika gab wem anderes für den ganzen Song „Lieblingsmensch“ gar ein eigenes Mikro, ohne, dass das Mikro groß benutzt wurde; Megaloh machte erst mal Platz auf der Bühne, um den Heiratsantrag des Mannes, der zwei Tickets und eine Crowdsurfing-Bootfahrt von Viva con Agua gewonnen hatte gut ausgehen zu lassen. Irgendwie sympathisch, diese lockere Atmosphäre beim Summerjam.

Heiratsantrag VcA - Summerjam '16

  • Headliner: Beim Summerjam weiß man einfach auch nie so ganz genau, wer jetzt die Headliner sind, bis die Running-Order rauskommt. Die Auflistung auf der Homepage will nicht so ganz einer hierarchischen Ordnung folgen, so spielte der Headliner von 2012, Sean Paul, einfach mal vor dem Headliner dieses Jahr, Gentleman & Ky-Mani Marley. Und Alligatoah? Steht eigentlich erst irgendwo an sechster Stelle auf der offiziellen Homepage, sprach aber am Freitag selbstbewusst von Headliner-Slot, den er ja letztlich auch einnahm. Etwas verwirrend, wie die gesamte Orga von Summerjam ab und an. Aber nirgendwo läuft es trotzdem so rund.
  • Zuletzt – Camping: Seit Jahren wird angekündigt, das Camping am Fühlinger See härter zu kontrollieren. Dieses Jahr zum ersten Mal die tatsächlich recht konsequente Umsetzung, nur BesucherInnen mit Ticket auf das Gelände rund um den See zu lassen. Das verhindert zwar einerseits, dass aggressive Pfandsammler um die Zelte ziehen und beschränkt auch die Diebstähle, die die letzten Jahre vermehrt zu beklagen waren. Doch es bricht auch mit der Tradition, mit mehreren FreundInnen zum Summerjam zu fahren, selbst, wenn nicht alle im Camp eine Karte haben. So oder so – eine solche Konsequenz hatten viele dem Summerjam gar nicht mehr zugetraut.

Text: Giulia Ebert / Aaron Wilmink || Fotos: Aaron Wilmink

Das SummerJam 2017 wird vom 30.Juni bis 02.Juli stattfinden.

 

2 Kommentare zu “Summerjam 2016 – Festival zwischen Roots Reggae und Hiphop Beats”

  1. Nummer 1: SummerJAM 2017 mit Termin und Vorverkaufssart sagt:

    […] Hier geht es zu unserem diesjährigen SJ-Rückblick: “Summerjam 2016 – Festival zwischen Roots Reggae und Hiphop Beats“. […]

  2. Nummer 2: Summerjam 2017 mit Patrice, Sido und 26 weiteren sagt:

    […] geht es zu unserem diesjährigen SummerJam-Rückblick: “Summerjam 2016 – Festival zwischen Roots Reggae und Hiphop Beats“. Weiteres zum Summerjam hier und auf http://www.summerjam.de. Hier könnt ihr Summerjam Tickets […]

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